Die Ordnung der Kommunikation und die Kommunikation der Ordnungen im mittelalterlichen Europa. Klöster und Orden im Europa des 12. und 13. Jahrhunderts

Die Ordnung der Kommunikation und die Kommunikation der Ordnungen im mittelalterlichen Europa. Klöster und Orden im Europa des 12. und 13. Jahrhunderts

Organizer(s)
Cristina Andenna, Institut für Geschichte, Technische Universität Dresden; Klaus Herbers, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg; Gert Melville, Institut für Geschichte, Technische Universität Dresden
Location
Loveno di Menaggio
Country
Italy
From - Until
02.11.2009 - 05.11.2009
Conf. Website
By
Guido Cariboni, Università cattolica del Sacro Cuore di Brescia; Übersetzung von Juri Haas, Institut für Geschichte, Technische Universität Dresden

Im italienisch-deutschen Zentrum „Villa Vigoni“ in Loveno di Menaggio fand vom 2. bis zum 5. November 2009 die Tagung „Die Ordnung der Kommunikation und die Kommunikation der Ordnungen im mittelalterlichen Europa. Klöster und Orden im Europa des 12. und 13. Jahrhunderts“ statt. Das Treffen wurde von Cristina Andenna (Matera/Dresden) und Klaus Herbers (Erlangen) unter Federführung von Gert Melville (Dresden) organisiert. Möglich wurde die Veranstaltung durch die Finanzierung der Deutschen Forschungsgemeinschaft und die Unterstützung des Zentrums „Villa Vigoni“.

Ziel der Tagung war es, die komplexen Kommunikationssysteme und -strukturen der Orden und Klöster zu analysieren, die im Mittelalter eine transregionale Dimension entwickelten und in ganz Europa präsent waren. Die von den Organisatoren im Vorfeld aufgestellte These, die Welt der Klöster und religiösen Orden stelle einen besonders geeigneten Forschungsgegenstand dar, um die Ursprünge und die Entstehung eines „Kulturraums Europa“ zu untersuchen, wurde von den einzelnen Beiträgen eindrucksvoll bestätigt. Die religiösen Orden bildeten eine netzwerkartige Kommunikation mit wechselnden Zentren und Peripherien aus, der eine herausragende innovative Qualität zuzusprechen ist.

An der Tagung nahmen 33 Wissenschaftler aus verschiedenen Ländern Europas (Deutschland, Frankreich, Italien, England und Belgien) und der USA teil, die sich drei Tage lang intensiv in Vorträgen, Diskussionen und Überlegungen austauschten. Wie GERT MELVILLE (Dresden) in seiner Einleitung hervorhob, scheint der europäische Raum in seiner gesamten Weite für die Religiosen keine inneren Grenzen gehabt zu haben. Seien es monastische Leitideen und Normen, sei es eine einzelne Person, eine einzelne Gruppe oder seien es organisatorische Gliederungen und Ausbreitungsprojekte gewesen – auf jeder dieser Ebenen bestand prinzipiell ein überregionaler Aktionsradius. Seit dem 12. Jahrhundert fand diese Welt der Klöster zudem zu einer institutionellen Form, die diesen weiten Umgriff zu bewältigen verstand: den religiösen Orden. Die religiösen Orden entwickelten eine netzwerkartige Kommunikation mit wechselnden Zentren und Peripherien, schufen sich auf diesem Wege ein Europa des organisatorischen Zusammenhalts – ein Europa, das auf einer Ordnung der Kommunikation beruhte, durch welche wiederum Ordnungen kommuniziert wurden.

Diese Sachverhalte sind in den gegenwärtigen Forschungsdiskursen höchst aktuell, indes freilich noch kaum hinreichend analysiert. Die Frage nach den historischen Systemvoraussetzungen jener Kommunikationsstrukturen sowie nach deren funktionalem Zusammenwirken wurde im Rahmen der Tagung mit einer stark vergleichenden Vorgehensweise und sehr weit gefassten Themen angegangen, sowohl in Bezug auf die Konzepte als auch in Bezug auf die zu untersuchenden Gegenstände. Nach diesen Einführungen, in denen – um eine vergleichende analytische Arbeit in den einzelnen Bereichen der historischen Forschung voranzubringen – viele Male die heuristischen Zielstellungen hervorgehoben wurden, unterteilte sich die Tagung in vier Sektionen: die Inhalte der Kommunikation, die Einrichtungen der Kommunikation(-swege), die Medien der Kommunikation und die Wege der Kommunikation. Jede der Sektionen hat sich auf den Systemcharakter der Kommunikation bezogen und sich auf ihre räumliche Dimension konzentriert.

Dieser grundlegenden Perspektive war auch die methodologische Einführung von ALOIS HAHN (Trier) gewidmet, der ausgehend von der theoretischen und der vergleichenden historischen Soziologie mögliche Wege aufgezeigt hat, um zu verstehen, wie die nicht auf einen spezifischen Raum begrenzten Kommunikationsstrukturen in analytischer Art und Weise deutlich gemacht werden können. Besonders hat sich Hahn dabei auf die Dialektik und die Differenzen der Begriffe „Zentrum“ und „Perepherie“ in der vormodernen Epoche konzentriert, wie sie unter anderen in den Arbeiten von Weber, Luhmannn, Bourdieu und Wallerstein behandelt werden. Diese beiden Pole, in Verbindung mit oder in Opposition zueinander, seien nicht nur als eine Dichotomie gesehen worden, sondern auch als ein Spannungsfeld, in dem von Zeit zu Zeit auch Sub-Zentren und Semi-Peripherien auszumachen sind.

Die erste Sektion war – unter dem Vorsitz von Michael Matheus (Rom) – den „Inhalten der Kommunikation“ gewidmet. MIRKO BREITENSTEIN (Dresden/Eichstätt) beschäftigte sich mit dem „Transfer paränetischer Inhalte innerhalb und zwischen Orden“. Behandelt wurde somit ein zentrales Thema, bei dem insbesondere personale Netzwerke im Fokus standen, die auf einer von gemeinsamen Leitideen bestimmten inneren Einheit gründeten. Anhand der Weitergabe von Texten bedeutender Autoren wie Aelred von Rievaulx, Wilhelm von St. Thierry oder Petrus Cellensis, aber auch weniger bekannter gleichwohl vielfach verbreiteter Schriften wurden dabei ganz konkret die Verbreitungswege von spirituellen Idealen und Werten untersucht. In welchem Maße Kommunikation unverzichtbar für die Stabilität institutioneller Ordnungen wurde, verdeutlichten auch der Beitrag von JENS RÖHRKASTEN (Birmingham) über den Transfer von ökonomischen Informationen sowie der Beitrag von FLORENT CYGLER (Nantes) über den Transfer administrativer und juristischer Inhalte.

Die zweite, von Agostino Paravicini Bagliani (Lausanne) geleitete Sektion beschäftigte sich mit den Strukturen der Kommunikation. MARIA PIA ALBERZONI (Milano) zeichnete zunächst ein Bild von den Praktiken der Kontrolle bei den religiösen Orden des 12. Jahrhundert, insbesondere in Bezug auf die Instanzen von Generalkapitel und Visitation. Sie konnte dann zeigen, dass dieses zisterziensische Modell im Laufe des 13. Jahrhunderts auch vom apostolischen Stuhl aufgegriffen wurde. Diese Übertragung konnte anhand der Evolution der zunächst primitiven Struktur der Minderbrüder in Beziehung zur römischen Kirche und dem Amt des Kardinalprotektors beobachtet werden. SÉBASTIAN BARRET (Orléans) beschäftigte sich anschließend mit der Verwaltung der Kommunikation. In seiner Analyse hat er das Archiv und die damit verbundenen Praktiken der Registration und der Spedition von Dokumenten als ein neuralgisches Zentrum innerhalb monastischer Netzwerke herausgearbeitet. Das Archiv war ein Ort der Akkumulation von vergangenen Informationen, und damit der memoria, aber zugleich ein Ausgangspunkt für künftige juridische Aktivitäten eines Klosters. Das von ROBERTO LAMBERTINI (Macerata) analysierte System der studia war ein bevorzugter Ort der Kommunikation, der jedoch im Laufe des 13. Jahrhunderts immer stärker reguliert wurde. Ausgehend vom besonders gut dokumentierten Beispiel der Augustinereremiten erlaubte ein neuer historiografischer Ansatz das Bildungsnetzwerk der Medikantenorden in seiner Gesamtheit zu verstehen. Es handelte sich um ein System, welches besonders das untere Niveau des curriculum di studio betraf, das heißt die Lektorate. Dieses stellte im Wesentlichen ein geschlossenes System dar, auch wenn hier nicht selten Personen präsent waren, die nicht aus den einzelnen Kongregationen stammten.

Eine dritte Sektion, geleitet von Hans Joachim Schmidt (Fribourg), zielte auf die Instrumente der Kommunikation. UWE ISRAEL (Venezia) und GILES CONSTABLE (Princeton) analysierten mit unterschiedlichen Schwerpunkten und Perspektiven besonders die Kommunikation mit Hilfe von Briefen. Diese Herangehensweise erlaubte beiden Vortragenden, das Verhältnis von Schrift und Mündlichkeit zu reflektieren, und zwar in einer Epoche, in welcher der letztgenannte Aspekt noch eine dominierende Rolle in der Kommunikation spielte. In der Beziehung zwischen den beiden Ebenen spielten die Überbringer der Schreiben eine zentrale Rolle, die, wenn sie auch schriftlich fixierte Informationen von öffentlichem Interesse überbrachten, im selben Moment oftmals eine nicht-schriftliche Botschaft mit übermittelten, welche einen stärker privaten oder persönlichen Charakter hatte. In enger Verbindung mit diesen Fragestellungen stand auch der Beitrag von RUDOLF WEIGAND (Eichstätt). Er beschäftigte sich mit der Rolle von Historiographie und Exempelsammlungen im kommunikativen Netz der mittelalterlichen Orden und fragte nach der Organisation von Kommunikation, in diesem Zusammenhang als System mit mehrfachen Referenzorten von Medien verstanden. Die Analyse ist auf unterschiedlichen Ebenen durchgeführt worden, indem die Gattungen und die Mittel der Kommunikation in ihrer Beziehung zur funktionalen Struktur der Gesellschaft untersucht worden sind.

Unter den effizientesten und intensivsten Kommunikationsinstrumenten hatten diejenigen, welche aus dem künstlerischen Bereich stammten einen privilegierten Platz. Diesem Aspekt waren die Vorträge von HEIDRUN STEIN-KECKS (Erlangen) und von CAROLA JÄGGI (Erlangen) gewidmet. Stein-Kecks untersuchte die kommunikativen Potenziale der Bilder im monastischen Bereich des 12. Jahrhunderts. Ihr Vortag war zweigleisig angelegt: Einerseits ging sie ausgehend von den Überlegungen Bernhards von Clairvaux auf die Frage ein, ob künstlerische Darstellungen monastischen Räumen überhaupt angemessen seien, andererseits widmete sie sich konkret Beispielen von Bildzyklen in Kapitelsälen. So konnte die enge Verbindung zwischen den Darstellungsobjekten und der Identität der religiösen Orden im 12. und 13. Jahrhundert herausgearbeitet werden. Carola Jäggi wiederum stellte die Frage nach der uniformitas in den architektonischen Ausdrucksformen der Zisterzienser, wobei sie sich besonders mit den Grundrissen der Kultgebäude beschäftigte. Dabei konnte sie anhand zahlreicher Beispiele zeigen, dass das Modell von Cîteaux, welches ein fundamentales Instrument für die Kommunikation einer einheitlichen Identität des Ordens war, sowohl durch regionale Einflüsse, denen eine monastische Gemeinschaft ausgesetzt war, als auch durch die Vorgaben und den Willen der jeweiligen Bauherren neu interpretiert und modifiziert wurde.

In der vierten Sektion, unter Leitung von André Vauchez (Paris), wurden schließlich die Wege der Kommunikation in den Blick genommen. STEVEN VANDERPUTTEN (Gent) behandelte die Überwindung der Grenze und die Verbindung mit der säkularen Gesellschaft. Paradoxerweise konnte er hierbei beobachten, dass mindestens seit der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts eines der wichtigsten Ziele der monastischen Kommunikationspraktiken darin bestand, eine Grenze zu setzen und eine – wenn auch oftmals subtile – Distanz zwischen dem religiösen und dem laikalen Bereich aufzubauen. Das Ergebnis war die Schaffung neuer sozialer Realitäten.

NICOLANGELO D’ACUNTO (Brescia) reflektierte die Formen der stabilen und mobilen Zentralisierung der religiösen Orden im 12. und 13. Jahrhundert. Er machte dabei eine Pluralität von Lösungen aus, die bestimmt war von veränderlichen Kombinationen kontingenter Umstände und organisierten Gewohnheiten lang bestehender und konsolidierter Traditionen. Ausgehend von einem Vorbild wie dem cluniazensischen, mit starken zentripetalen Merkmalen, ging man über zu eher symbolischen Zentren, markiert etwa durch die Reliquien eines heiligen Gründers, bis hin zur Schaffung von mobilen Zentren, mit stark funktionalem Charakter, die typisch für die Mendikantenorden waren.

Eng verbunden mit dieser Themenstellung war der Beitrag von CRISTINA ANDENNA (Matera/Dresden). Ausgehend von der Systemtheorie Niklas Luhmanns konzentrierte sich Andenna auf die Definition von „Peripherie“ vor dem Hintergrund ihrer Beziehungen mit jener Einheit, die von Mal zu Mal als „Zentrum“ identifiziert werden kann. Auf diese Weise führte sie eine detaillierte, vergleichende Analyse der Strukturen religiöser Orden durch, wobei sie zwei Modelle unterschied: Orden mit einem stabilen Zentrum und Orden mit einem mobilen oder veränderlichen Zentrum. Um die Distanz zwischen diesen beiden Polen zu überwinden, hat sich als grundlegend herausgestellt, dass sich das Kommunikationsnetz von Zeit zu Zeit sowohl in vertikaler und hierarchischer als auch in horizontaler Ebene entwickeln konnte, also zwischen den einzelnen Gemeinschaften und dem Zentrum.

Abgeschlossen wurde die Tagung durch die Zusammenfassung von KARL SIEGBERT REHBERG (Dresden), der zu einer tiefgreifenden analytischen Bewertung der gesamten Arbeit kam. Als geeignete Methode, die Diskussionen anzuregen und zu bereichern, erwies sich die komparative Perspektive, die sich nicht auf eine positivistische Behandlung der Themen und Inhalte beschränkte. Hierzu haben freilich auch die angenehme Umgebung und die befruchtende geistige Atmosphäre des Veranstaltungsortes in der Villa Vigoni in erheblichem Maße beigetragen. Trotz der unterschiedlichen sprachlichen Provenienz der Tagungsteilnehmer fanden die Diskussionen durchweg auf einem hohen Niveau statt.

Konferenzübersicht:

Klaus HERBERS (Erlangen), Gert MELVILLE (Dresden/Eichstätt): Einführung

Alois HAHN (Trier): Raumkonzepte / Kommunikation

Mirko BREITENSTEIN (Dresden/Eichstätt): Transfer paränetischer Inhalte innerhalb und zwischen Orden

Jens RÖHRKASTEN (Birmingham) : Transfer von Wirtschafts- und Handelsdaten

Florent CYGLER (Nantes): Transfer von Informationen über ordensinterne Zustände (Generalkapitel -Visitationsergebnisse, Bestandserhebungen etc.)

Maria Pia ALBERZONI (Milano): Kontrollpraktiken

Sébastien BARRET (Orléans): Kommunikationsverwaltung (Archive und Registratur; Versandpraktiken

Roberto LAMBERTINI (Macerata): Studiensysteme

Uwe ISRAEL (Venezia): Personale Kommunikation (Boten, Delegierte, Beobachter, Handwerker etc.)

Giles CONSTABLE (Princeton): Briefe, verwaltungstechnisches Schrifttum

Rudolf WEIGAND (Eichstätt): Predigt, Historiographie, Exempla-Sammlungen etc.

Carola JÄGGI (Erlangen): Architektur –

Heidrun STEIN-KEKS (Erlangen): Bilder

Steven VANDERPUTTEN (Gent): Grenzüberschreitungen (Umfeldbeziehungen etc.)

Nicolangelo D’ACUNTO (Brescia): Zentralisierungsformen (statische, wechselnde)

Cristina ANDENNA (Matera/Dresden): Subzentren, Peripherie

Karl-Siegbert REHBERG (Dresden): Zusammenfassende Strukturierung und Auswertung


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